Für 20 Euro im Monat sämtliche öffentlichen Verkehrsmitteln in einer deutschen Großstadt nutzen zu können – das ist an sich tolles Angebot. Trotzdem ist das von der Leipziger Volkszeitung dazu abgedruckte (und hoffentlich repräsentative) Feedback aus der Bevölkerung großteils negativ. Leipziger fürchten um ihr “persönliches Wohl”, sind “gegen Zwänge” und empfinden die “Abzocke” als “Unverschämtheit” die den “großen Wasserkopf” finanziert. Dieser erstaunliche Kontrast liegt meines Erachtens in der Art wie diese Kampagne organisiert wurde.
Im Artikel wird das Abo als “Zwangsticket” betitelt und auf dem Artikelbild mit Handschellen dargestellt. Der Grund: Alle Leipziger sollen gleichermaßen zur Kasse gebeten werden um den günstigen Monatspreis mitzufinanzieren, egal ob sie öffentliche Verkehrsmittel nutzen, oder nicht. Notfalls, so die aktuelle Befürchtung, mit staatlicher Gewalt. Man fühlt sich an GEZ & Co erinnert.
Gegenbeispiel: auf der “crowdfunding”-Plattform kickstarter.com haben unlängst über 60.000 Einzelpersonen insgesamt mehr als 13 Millionen Dollar zusammengetragen um einem Unternehmer aus Oregon in Amerika zu helfen eine Kühlbox mit eingebautem Lautsprecher zu produzieren. Freiwillig und weitestgehend ohne Gegenleistung, bestenfalls mit dem Versprechen eines der Geräte zu erhalten wenn es irgendwann fertig ist. Ähnliche Kampagnen haben 10 Millionen für eine erste Smartwatch namens pebble, 6 Millionen für einen High-End MP3-Player oder 4 Millionen für ein Abenteuerspiel für den Computer zusammengetragen.
Der feine Unterschied ist, dass bei kickstarter alle Unterstützer freiwillig zusammenkommen um ein gemeinsames Ziel zu erreichen. Damit wird niemand ausgeschlossen und über seinen Kopf hinweg entschieden, sondern die vorhandene Leidenschaft für das Produkt genutzt um die Finanzierung und Vermarktung zu ermöglichen.
Für die LVB sähe eine Beispielkampagne so aus: Das allgemeine Ticket für Leipzig kostet aktuell rd. 50€. Die LVB kalkuliert für die Zwischenziele 45, 40, 35, 30, 25, und die angestrebten 20€ wie viele Neukunden das Unternehmen gewinnen müsste. Für das erste Zwischenziel von 45€ im Monat kann die LVB sämtliche Bestandskunden anschreiben und ihnen 5€ Ersparnis jeden Monat in Aussicht stellen, wenn sie weitere Interessenten finden. Als zusätzlicher Anreiz erhalten alle die sich für das crowdfunding programm anmelden sämtliche Vergünstigungen die dadurch entstehen, zahlen aber keinesfalls mehr als den Einstiegspreis. So ist gewährleistet, das ein frühes Einsteigen keine Nachteile gegenüber Nachzüglern mit sich bringt. Eventuell kann man in dieser Phase für die “First Mover” noch zusätzliche Statusvorteile einbauen, die auch für Neukunden die Investition attraktiv macht. (Und dann wäre es toll, wenn auch in der Presse die Stimmen von Leuten abgedruckt würden, die sich positiv zu günstigen Tickets für die Allgemeinheit äussern).
Die negative Preisprogression sichert dabei für alle Beteiligten ab, dass sie nie mehr zahlen müssen als sie wollen würden. Im Gegenzug muss die LVB über die Kalkulation und die Stufen größtmögliche Transparenz schaffen. Mit jeder neu erreichten Stufe gibt es für alle etwas zu feiern, die sich bisher an dem Programm beteiligt haben, und mehr Anlass positiv darüber zu sprechen und zu berichten. Alle Kunden haben einen starken Anreiz weitere Kunden zu gewinnen und auch die LVB hat jedes Mal einen Grund, über ihre Medienkanäle zu berichten.
Ist die Fundingphase nach 2 Monaten abgeschlossen erhalten alle Teilnehmer des Projektes ihre “Bürgertickets” zum entsprechend vergünstigten Preis. Einen Preis, den sie selber mit geschaffen haben. Vielleicht werden so nicht die angestrebten €20 pro Person realisiert, sondern der Preis bleibt bei €30 stehen – für alle bestehenden Abonnenten immer noch ein starker Gewinn und alle Neukunden dürfen sich über die neugewonnene Mobilität zum günstigeren Preis freuen. Anstatt sich gegenseitig an die Kehle zu gehen, gewinnen alle Beteiligten durch diese Kampagne.